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Eine sinnvolle Wahl

3. Juni 2012

Wer in den letzten Tagen die „Qualitätsmedien“ oberflächlich verfolgt hat, der muss die Linkspartei kurz vor der Spaltung oder Auflösung gesehen haben. Es ist beileibe nicht so, dass die Partei keine großen internen Probleme hat. Wer aber den Parteitag am Samstag ausführlicher verfolgte, der musste zu einem differenzierteren Ergebnis kommen. Die klare Mehrheit der Redner beschwor immer wieder die Gemeinsamkeiten und die Wichtigkeit von Themen und zeigte sich gewillt, die Personaldebatten und Differenzen endlich hinter sich zu lassen.

Natürlich hätte vielen Medienvertretern nichts besser gepasst als eine Spaltung dieser Partei, aber so weit kam es längst nicht. Bei manchen hatte man übrigens sogar den Eindruck, sie wollten das Ende der Linken am liebsten gleich selbst herbei schreiben. Von einigen Zeitungen und Internetportalen erwartet man auch wirklich keine faire Berichterstattung, aber dass Spiegel Online sich hier so extrem negativ hervortut, darf schon einmal erwähnt werden.

Von Freitag bis gestern hieß es bei Spiegel Online in vier aufeinanderfolgenden Artikeln „Die Super Horror Linken Show“, „Zerreißprobe in Göttingen“, „Offener Streit zwischen Gysi und Lafontaine“ und „Kipping und Riexinger führen tief zerstrittene Linke.“ Die Überschrift „The Göttingen Chainsaw Massacre“ hatte vielleicht auch schon jemand im Kopf. Das ist alles wirklich nur noch peinlich. Kritik an der Linken muss sein, Kritik ist auch teilweise absolut berechtigt. Die Linke ist wirklich immer noch in einer schwierigen Phase, trotzdem ist es einfach erbärmlich, wenn man nur die negativen Punkte herausstellt.

Wie schon anfangs geschrieben, spiegelte eben das nicht vernünftig wieder, was ich gestern bis in den frühen heutigen Morgen über viele, viele Stunden im Live-Stream gesehen habe.  Wie wäre es zum Beispiel einmal damit, sich anzuschauen, was teilweise für tolle Leute der Linken gewählt wurden? Allen voran Katja Kipping. Sie ist jung, intelligent, kreativ und vor allem keine Spalterin, keine Person, die polarisiert und mit der ein gewisses Lager gar nichts anfangen kann. Kipping wird zudem das interessante Thema Grundeinkommen wieder auf den Tisch bringen und andere wichtige soziale Punkte.

Bernd Riexinger kenne ich leider zu wenig. Ja, er ist ein Lafontaine-Mann, aber das heißt noch lange nicht, dass er im politischen Alltag nicht trotzdem Zustimmung von vielen Seiten bekommen kann. Mindestens zwei der vier Vize-Vorsitzenden sind wiederum sehr kompetente, gute Personen. Mit Sahra Wagenknecht eine Politikerin und Kapitalismus-Kritikerin, der im Bereich Wirtschaft weit über die Grenzen ihrer Partei große Kompetenzen bescheinigt bekommt. Dazu Jan van Aken, ein starker Redner, der sich stets klar gegen deutsche Auslandseinsätze und Waffenexporte einsetzt.

Mit diesem guten Personal kann die Partei positiv in die Zukunft schauen, wenn sie sich nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Eine erstarkende Linke in Europa (Frankreich, Griechenland) kann ebenfalls förderlich sein. Eine SPD, die immer noch von Köpfen der Agenda 2010 geführt wird, spielt ihr zudem in die Karten, aber vor allem die wachsende Unzufriedenheit mit Fiskalpakt, Euro und letzten Endes dem Kapitalismus. Welche andere Partei stellt diesen schon ernsthaft infrage und hat den Mut, überhaupt andere Alternativen in Erwägung zu ziehen? Keine.

Gerade die Schwächen und die Ähnlichkeit der anderen Parteien untereinander müssten eigentlich auch im Westen kontinuierlich zu zweistelligen Ergebnissen bei Wahlen führen. Hat die Linke denn eigentlich realistische Konzepte und Lösungen? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass die anderen Parteien diese ganz sicher nicht haben. Ob die Linkspartei ihre große Chance nutzt, ist derzeit völlig offen. Ich bin grundsätzlich eher ein skeptischer Mensch, aber die Möglichkeiten stehen meiner Meinung nach zumindest deutlich besser, als man uns vielerorts weismachen will. Ich hoffe, bei Spiegel Online hatte sich noch niemand um eine Todesanzeige gekümmert.

From → Medien, Politik

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